
Kunstraum Baden
Der schwarze Farbstift ist sein Fetisch, die Zentralperspektive seine Muse. Tobias Nussbaumer schafft Raumphantasien von bestechender Brillanz. Seine Bildräume sind von Wehmut durchzogen, erinnerungssatt und menschenleer. Die Installation, die der 1987 geborene Künstler im Kunstraum Baden aufbaute, führt in eine Welt ineinander verschachtelter Systeme. Diese prägt das Erleben im realen Kontinuum. Gezeichnete Ansichten von virtuellen Räumen entführen in eine suggestive, bühnenhaft angelegte Bildräumlichkeit. Die meist grossformatigen Papiere zeigen architektonische Situationen – aus immer wieder anderen Blickwinkeln und Perspektiven: In der Unübersichtlichkeit der realräumlichen und gedanklichen Systeme will sich keine Eindeutigkeit einstellen. Der Zentralperspektive, eigentlich Inbegriff von Ordnung und Orientierung, wird die Wirkung entzogen und der Blick, der in der Tiefe des virtuellen Raumes Verbindlichkeit sucht, prallt ab. Wer die verschachtelten Systeme von Tobias Nussbaumer zu ergründen sucht, bleibt womöglich im Netz seiner eigenen Vorstellungen hängen.
Zentraler Ausgangspunkt seiner Arbeit, sagt Tobias Nussbaumer, sei der Begriff der Täuschung. Bei einem Künstler, der die perspektivische Illusion so sehr zelebriert wie er, ist dies keine eigentliche Überraschung. Mit grossem Eifer konstruiert Tobias Nussbaumer brillante Raumillusionen. Fluchtlinien, Lichtführung und präzis aufs Papier gesetzte Schattenwürfe gaukeln räumliche Tiefe vor und erzeugen einen starken Sog. Einen Sog, dem er sich allerdings nicht einfach tel quel hingibt, sondern dessen Bann er mit präzise kalkulierten Setzungen immer wieder von Neuem bricht.
Wer den Kunstraum betritt, sieht sich einer wandfüllend grossen Architekturansicht gegenüber: Der Blick geht an einer runden Maueröffnung vorbei ins menschenleere Freie. Ein kahler Baum, ein paar Rabatten, eine Mauer. Was liegt dahinter? Vielleicht ein Park oder eine Strasse? Und wo stehen wir? Blicken wir aus einem Haus heraus oder blicken wir von draussen durch eine Laube hindurch in einen Garten?
Es ist vertrackt: Jeder meint einzelne Elemente wieder zu erkennen und kann den Ort dennoch nicht identifizieren. Bei der Annäherung an die perfekt inszenierten Zeichnungen löst sich die Architektur in wilde Schraffuren auf. Aus einem Baum, einer Türklingel, einem schlichten Betonklotz wird etwas vollkommen Abstraktes – alles ist Erscheinung und der Betrachter ist mit einem Bild diffuser Unschärfe konfrontiert.
Als zweite Ebene kommt die räumliche Inszenierung hinzu. Tobias Nussbaumer verstellt uns zwar den Blick in die hinteren Tiefen seiner Raumillusionen, hängt das Bild selbst dafür aber so in den Raum, dass wir drumherum gehen und in der Wand dahinter eine Tür entdecken können. Der Raum, mit Parkett ausgelegt, hat etwas von einer kleinen 1-Zimmerwohnung, ist aber das nachgebaute Atelier des Künstlers, bei dem die Tapete weichen musste für grosszügige Zeichnungswände. Und damit haben wir – zumindest metaphorisch – einen suggestiven Orientierungspunkt in einem Setting, in dem die Gewissheiten alsbald wieder aufgeweicht und ausgehebelt werden. Einen eigentlichen Ausblick aus dem Atelierfenster gibt es keinen: Hinter dem Alurollo, das vor dem Fenster hängt, befindet sich eine nackte Wand. Und die gläserne Tür zur linken führt nicht, wie im wirklichen Atelier des Künstlers, ins Badezimmer, sondern aus der ruhigen Kammer hinaus in einen schmalen Gang. Wo führt er uns hin?
In der Installation, die sich Tobias Nussbaumer ausgedacht hat, fallen wir laufend aus einer Kulisse in die nächste, von einem Setting ins andere. Gezeichnete und physisch gebaute Täuschungen lösen einander ab und ziehen uns immer tiefer in einen Malstrom der Irritationen. Was sehen wir jetzt, was haben wir vorhin gesehen? Woran erinnern wir uns, was erkennen wir wieder? Was ist authentisch, was eine Täuschung? Gibt es eine Wirklichkeit jenseits der Illusion?
(Rolf Bismarck & Claudia Spinelli)





































